Geleitwort

Die regionale Geschichtsschreibung hat in den letzten beiden Jahrzehnten einen erfreulichen Aufschwung genommen. Leider verdient nicht alles, was sich dem Anliegen der heimatverbundenen geistlichen Überlieferung widmet, auch die Aufmerksamkeit des sachkundig-kritischen Betrachters. Vieles, was unbefragt über die jüngsten Forschungsergebnisse der drei Sakralschienen des Sauerlandes (Möhne, Ruhr, Heiden- oder Heldenstraße) in die örtlichen Gazetten gelangte, wirft mehr Fragen auf als es an Fragen beantwortet.

Nachdem sich der angebliche Schatz des letzten Mönches des Klosters Grafschaft als eine Fliegerbombe aus dem 2. Weltkrieg entpuppte und auch die voreilige Meldung von Knochen des Heiligen Sögfried in Sögtrop als Fälschung zurückgenommen werden musste, gelingt es erst jetzt durch die vorliegende Arbeit der Sachkunde sowie dem gründlichen Quellenstudium und –vergleich den Vorrang zu geben vor reißerischen Meldungen, die nur die Auflagen zweitklassiger Tageszeitungen verbessern und die Karrieren historisch wie theologisch unbedarfter Nachwuchsredakteure protegieren helfen sollen.

Unserem hoffnungsvollen Lizenziaten Georg Maria Stippenkötter ist mit dieser kleinen Arbeit ein gleichermaßen einfühlsames wie fachkundig-(theo-)logisches Erstlingswerk gelungen. Es überzeugt in der zielsicheren Arbeit mit der mühsamen Lektüre der Standardwerke der beiden vergangenen Jahrhunderte sowie der kritischen Sichtung mündlicher Überlieferungen, die er sich oft in mangelhaft beleuchteten Sauerländer Wohnstuben, bei unzähligen Tassen Kaffee und ebenso oft gereichten Alkoholika vor Ort schildern ließ.

Für seine geleistete Arbeit schulden wir ihm Dank, für seine Genesung an Magen und Leber wünschen wir ihm für seinen Aufenthalt im Briloner Krankenhaus und für seine Kur im fernen Bad Berleburg alles erdenklich Gute!

Köln und Rösenbeck, am Himmelfahrtstag 2007,

Prof. Dr. Alfons Niemand, Leiter der gemeinsamen Forschungsgruppe „Volksfrömmigkeit“ der Europäischen Union, des Erzbistums Paderborn und des Sparkassenverbandes Nordrhein-Westfalen


Vorwort

An dieser Stelle möchte ich all denen danken, die zum Gelingen dieses Werkes beigetragen haben. An erster Stelle natürlich meiner Mutter Katharina Stippenkötter, die mich immer wieder neugierig gemacht hat dem Thema nachzugehen, auch wenn einige ihrer Hinweise dann doch nicht zum Ziele führten. So erwiesen sich die Eisheiligen nicht als Sauerländer Heilige und auch der „ganz alte Schneider“ nur als ein – manchmal heilsamer – Kornbrand aus Nuttlar.

Allerdings begegnete ich so auch dem freundlichen Tankwart der Raiffeisen-Tankstelle in Bestwig, dem ich mehr als nur die Reparatur meines Reifenschadens verdanke. In den zweieinhalb Tagen des Rad- und Reifenwechselns kam so mancher Hinweis zu Tage – auch durch gelegentliche Tankkunden –, der sich später als nützlich erweisen sollte. Leider ist mir der Nachname des freundlichen Helfers entfallen. Oder habe ich ihn etwa gar nicht danach gefragt? Immerhin weiß ich noch, dass er Andreas hieß, und zu seinen Ehren habe ich die Seite über Andreas Rölleke an den Anfang meiner Arbeit gestellt.

Meiner Zimmerwirtin in Ramsbeck, Frau Bamfaste, sei herzlich für ihre Käsesahnetorte und ihre ständige Präsenz gedankt, mit der sie sich mehrmals täglich für meine Arbeit interessierte – sogar in meiner Abwesenheit.

Dem Vikar von St. Jodokus in Dreieichen sei gedankt für den Einblick in die – mitunter leider lückenhaft geführten – Kirchenbücher. Ohne ihn wäre mir mancher Zusammenhang zwischen Sauerländer Gewohnheiten und der Historie unbekannter Heiliger verborgen geblieben. Allerdings sei ihm von dieser Stelle – mit der Autorität der mich behandelnden Ärzte – dringend angeraten seine Kornbrandmarke zu wechseln.

Ihnen allen und denen, die ich hier namentlich nicht erwähnt habe, komme mein Dank auch dadurch zu, dass das Andenken der von mir beschriebenen Heiligen in Zukunft nicht mehr der Vergessenheit oder der allgemeinen Zurückhaltung des Sauerländers anheim falle – was im Endeffekt auf das Gleiche hinausläuft.


Andreas Rölleke (1534 – 1557)

Andreas Maria Rölleke wurde 1534 als Sohn des Linnewebers Hanns Rölleke, genannt Biskopink, und seiner Frau Hedwig, geborene Schwartmicke, in Schönberghausen im Bezirk Dreieichen geboren. Andreas war ein zartes Kind, das seiner stark übergewichtigen Mutter widerspruchslos, ja in stets vorauseilendem Gehorsam zur Hand ging. Da seine Eltern oft und heftig miteinander stritten, wuchs in ihm früh der Wunsch zum Frieden in der Welt maßgeblich beizutragen. Sein kurzes Leben hindurch blieb er seiner Heimat und dieser Aufgabe verbunden. Dass er schon in frühen Jugendjahren ein Schweigegelübde ablegte, konnte die Geschichtsschreibung bisher zwar überliefern, aber aus eigenen Angaben Andreas Röllekes nicht bestätigen, da dieser bekanntermaßen bis zu seinem Tode schwieg und auch nicht niederschrieb, da er nicht schreiben konnte. Zwar konnte Rölleke den ständigen Streit seiner Eltern durch sein Schweigegelübde nicht verringern oder gar beenden, jedoch ist es der Überlieferung nach seinem beständigen, loyalen und ausgleichendem Wesen zu verdanken, dass bis 1557 und darüber hinaus die Reformation im Sauerland nicht Fuß fassen konnte. Woran Andreas Rölleke im August 1557 erstickte, hat er als demütigstes Geheimnis mit ins Grab genommen, das bis ins Jahr 1809 heimliche Wallfahrtstätte in Schönberghausen war, dann aber von marodierenden Franzosen verwüstet wurde.


Margarethe Ernestine Vollenbach (? - 1703)

Eine wahrhaft stattliche und barocke Erscheinung muss die heiligmäßige Margarethe Vollenbach gewesen sein. Kindheit und Jugend dieser eindrucksvollen Frau liegen im Dunkeln der Pestjahre in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Ihre ganze Sorge galt den Priestern der Heiligen Mutter Kirche, deren neun sie als Haushälterin versorgte und schließlich auch beerdigte. Von „ihren“ Priestern wird überliefert, sie seien die zufriedensten und wohlgenährtesten Männer des Sauerlandes gewesen. Selbst üble Nachrede konnte sie nicht daran hindern, eine in Pestzeiten verlassene und heruntergekommene Kapelle wieder herzurichten und eine kleine Brauerei darin einzubauen. Sie gilt als die eigentliche „Mutter seligmachender Säfte“. Diese vorsichtige Umschreibung des Alkohols in niederen und höheren Prozenten gibt die Verehrung und Dankbarkeit wieder, in dem sich der Sauerländer vor der heiligmäßigen Margarethe verneigt, gab sie doch dem Sauerland ein Elixier zur Krankheitsvorsorge, Krankheitsbekämpfung und zum Konservieren des Bestehenden. Margarethe starb als Märtyrerin, als sie von einem eifernden Puritaner am Allerseelentag 1703 vor der Hubertus-Kirche in Langenohl mit einer Flasche ihrer eigenen Hausmarke erschlagen wurde. Ihr heimlicher Festtag im Sauerland ist der Schützenfest-Montag.


Walter von der Lichte (1722-1797)

Walter von der Lichte gilt nicht als eigentlicher Sauerländer, da seine Großeltern in den Wirren des ausgehenden dreißigjährigen Krieges bei Soest vom Weg abkamen und so irrtümlich ins Sauerland gelangten. Ihm selbst eilte jedoch der Ruf voraus ein wahrer Prophet seiner Zeit zu sein. Erzählungen seiner Großeltern von Jesuiten, Protestanten und anderen Schreckgestalten verdichtete er zu finsteren Visionen einer Fremdbestimmung, die es zwar erst mit der Einführung des Fernsehens und des Minirocks, und dazu auch nur bis Neheim geben sollte, die Sauerländer jedoch zu unbedingter Treue zur Mutter Kirche und zur Bildung von Schützenvereinen anregen sollte, die das Andenken der heiligmäßigen Margarethe Vollenbach pflegten – später dann auch der Heiligen Sebastian, Georg, Hubertus und anderen. Zwischen 1736 und 1739 verbrachte er seine wirkungsschwangeren Jahre im Gasthof „Zur Ente“ im Schwarzen Bruch nahe Hewringsen, wo ihm zu Ehren das Friseurgeschäft seit 150 Jahren den Namen „Lichte Platte“ trägt. Nach 1740 soll sein Aufenthalt in einer Hütte tief im Walde des Astenmassivs gewesen sein, wo er Anfang 1797 in tiefer geistiger Umnachtung aufgefunden wurde. Sein überlieferter Ausruf „Hilf, heilige Margarethe, ich will ein Mönch werden“ wurde nicht mehr Wirklichkeit. Er starb in den Armen seines Friseurs am 14. April 1797.


Jakobus Vitalinus (ca.1180-1232)

Nicht unerwähnt bleiben darf auch der Präkonkubinermönch Jakob Vitalinus, der in der Zeit der Kreuzzüge aus Galizien in das noch stille und einsame Sauerland kam – mit dem frommen Brauchtum der Jakobspilger im Gepäck. Als die Geißel des Sauerlands im 12. Jahrhundert zählt die Inzucht, waren doch die Heerstraßen Karls des Großen bereits von der Gewalt des sauerländischen Waldes zurückerobert und die Handelswege der Hanse noch nicht als Schneisen in die grüne Grenze zwischen dem prosperierenden Norden und dem allmählich erstarkenden Süden geschlagen. Vitalinus, der zahlreiche Sprachen und Dialekte mühelos erlernt hatte, scheiterte mit seiner ersten Bestellung in einem Attendorner Gasthaus, in dem der rothaarige Gastwirt fünfmal nachgefragt und dann doch das Falsche gebracht haben soll. Von der Schwerfälligkeit des Gastwirts und seiner heiratsfähigen Töchter derart beeindruckt, predigte Vitalinus zwei Jahre lang in Sauerländer Kirchen für eine Bußwallfahrt nach Santiago de Compostela, jedoch vergeblich, da selbst bußwillige Sauerländer an den Grenzen ihrer Heimat direkt wieder umzukehren pflegten. Daraufhin schilderte er einen Jakobsweg aus, der von Attendorn über Elspe und Meschede bis nach Marsberg und von dort über Oberhenneborn und Wormbach wieder zurück nach Attendorn führte – also nicht mehr aus dem Sauerland heraus. Bis die norddeutschen Pilger das im Jahre 1299 bemerkten, war das Inzuchtproblem weitgehend behoben.


Der Mönch vom Wilzenberg

Nur wenig ist überliefert vom geheimnisvollen Einsiedler, der Ende des 10. Jahrhunderts auf der Kuppe des Wilzenbergs als einer der ersten die christliche Lehre lebte und lehrte. Viele Deutungen ranken sich um die Legende, dass dieser Vertreter des neuen Glaubens mit Steinen um sich warf: Während es 1853 bei Rolzhäuser/Knoche noch heißt, er habe sich selbst für sündenfrei wie die Gottesmutter gehalten („Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein...“), so kommt der Soester Hagiograph Kleinwinkelkötter 1911 zu der Theorie, dass es sich bei diesem Verhalten um eine intensive Christusfrömmigkeit handeln musste, wie sie auch bei einigen irischen Wandermönchen zu finden war („... der Eckstein, den die Bauleute verworfen haben...“). Erst die von der mystischen Glaubenstiefe des Hochmittelalters ahnungslose moderne Zeit machte aus den Steinen auf der Höhe des „heiligen Berges des Sauerlandes“ einen Ringwall, den noch heute jedes Kind mit Leichtigkeit übersteigen könnte.

Als die gegen den neuen Glauben aufbegehrenden heidnischen Zeitgenossen aus dem Latroptal den Wilzenberg stürmten, habe er sich in ein Erdloch auf dem Gipfel eingegraben, heißt es. Während der Mönch sich mit frommem Eifer bis zum Fuße des Berges durchgraben wollte, mauerten die heidnischen Vorfahren des heutigen Sauerländers das Erdloch oben zu, was heute immer noch fälschlicherweise als Brunnen missdeutet wird.


Die unschuldigen Kinder von Kirchrarbach (13. Jhdt)

In dem heute so beschaulich anmutenden Flecken Kirchrarbach, das nicht nur in geistlicher Hinsicht bis heute ein Kleinod des Schmallenberger Sauerlandes geblieben ist, herrschten im 13. Jahrhundert offenbar raue Sitten. Nirgends finden sich sichere Hinweise auf das Vorhandensein einer Pfarrkirche, weshalb Rolzhäuser/Knoche in ihrer 2.Auflage 1859 noch davon ausgehen, dass der Name Kirch-rar-bach davon herrührt, dass die Einwohner des Tales selten („rar“) zur Kirche gingen um den Segen der Hl. Sakramente zu empfangen.

Die Legende weiß, dass die Kirchrarbacher ihre Kinder überaus streng züchtigten. Insbesondere muss der Gebrauch von Büchern besonders strafbewehrt gewesen sein, welche sich ohnehin nur in einem der Häuser befunden haben können. Die jüngste Tochter des Hauses soll der frommen Legende nach eine schwere Handschrift der „Imitatio Christi“ des Thomas von Kempen dazu verwandt haben ein offen stehendes Fenster gegen das Zuschlagen und damit gegen Glasbruch gesichert zu haben. Der zornige Vater habe daraufhin sein Töchterlein samt den sich schützend vor sie stellenden großen Brüdern im Keller eingemauert – und mit ihnen die Handschrift.

Als 1417 der Keller aufgebrochen wurde um einer Rattenplage auf den Grund zu gehen, fand man die Gebeine der Kinder – in den Händen der jüngsten das vom Moder verrottende Exemplar der „Imitatio Christi“. Die über den Tod hinausreichende Liebe und Treue der Kinder zur Lehre der Heiligen Mutter Kirche rührte die Menschen im Tale so sehr, dass sie das Haus abrissen und an dieser Stelle die erste Pfarrkirche errichteten, deren stolze Nachfolgerin noch heute zu besichtigen ist.


Die drei Marien vom Alten Testament

In der Mitte des 14. Jahrhunderts muss es eine harte Zeit gehabt haben. Vereinsamte Gehöfte, siechende Ortschaften und verfallende Sitten selbst beim geliebten Klerus dauerten viele fromme Gemüter. So machten sich Eva Scultiess aus Arnsberg, Susanna Heneke aus Oeventrop und Rebecca Fromme aus Berge auf, um sich für die Ärmsten der Armen aufzuopfern. An der Martinseiche im Donnerohle fand Josef Knoche 1844 die Gründungsurkunde ihrer „Congregatio Virginae Mariae“, in der sie ihre Namen und ihren Wahlspruch eingeritzt hatten: „Dem Höchsten zur Ehre, dem Satan zum Trutze, unter Israels Jungfrauen wackerem Schutze, geloben wir...“ Der Rest war leider nicht mehr zu entziffern. Zu Ehren der Gottesmutter gaben sich alle drei wohl den Ordensnamen „Maria“, was die persönliche Zuordnung ihrer Heilstaten etwas schwierig macht. Die drei Marien vom Alten Testament – wie sie vom Volke bald liebevoll genannt wurden – zogen durch das Gebiet von Grevenstein, Hellefeld und Altenhellefeld, welches noch heute ihnen zu Ehren „Das Alte Testament“ genannt wird. Einen Bauern aus Hellefeld retteten sie vor dem Erstickungstod, da dieser einen gepökelten Fisch unsachgemäß verschlungen hatte. Dieser schenkte ihnen vor lauter Dankbarkeit ein Ferkel, welches sie dem Kaplan von Grevenstein gaben, welcher sich daraufhin wieder der Seelsorge widmen konnte statt für seinen Lebensunterhalt jagen zu gehen. Leider gelang es ihnen nie den einzigen rein Sauerländer Frauenorden vom Papst beglaubigen zu lassen. Bis ins 17. Jahrhundert hinein wurden sie vor allem in der kleinen Kapelle am Einberge verehrt, bis ein Übertragungsfehler dazu führte, dass mit dem Verbot des Jesuitenordens auch ihrer nicht mehr gedacht werden durfte.


Jens de Wit (1524-1572)

Ein Prophet – selbst für heutige Verhältnisse – revolutionärer Ausmaße war der aus Flandern eingereiste Jens de Wit, bekannt als der « Barde von Winterberg ». Während durch seinen Zeitgenossen Andreas Rölleke das Eindringen der Reformation verhindert werden konnte, schuf sich de Wit sein ewiges Denkmal im Hochsauerland durch zahlreiche Reformen, die allesamt in der Erneuerung der Kirchenmusik mündeten.

Im 16. Jahrhundert mussten die Winterberger zahlreiche Erfrierungen während der damals noch ermüdenden Gottesdienste in unbeheizten Kirchen erleiden. Der Sauerländer an und für sich ist eigentlich mit genügendem Sinn für das Praktische ausgestattet, in Zeiten des Niedergangs der Geistlichkeit, in denen der Pfarrer einen Zugehmann benötigte, der ihm wintertags das Feuer im Pfarrhaus in Gang hielt, brauchte es aber die Nüchternheit und Direktheit des Flamen in kirchlichen Dingen, die Jens de Wit auszeichnete. Während noch das kontemporäre Konzil von Trient den Gregorianischen Choral als die alleinige musikalische Form des katholischen Gottesdienstes anmahnte, schuf er bereits die berühmte „sauerländische Kontrafaktur“, die es ermöglichte, bekannte Volksgesänge in der Hl. Messe aufzugreifen. Mit seiner weitsichtigen Reform eilte er nicht nur den Beschlüssen des Tridentinums von 1563, sondern ebenso dem Verbot von 1911 voraus, dass Frauen den Altarraum nicht betreten dürfen – bis hin zum fröhlichen ökumenischen Miteinander des flämischen Protestanten mit dem konfessionell ansonsten als stur geltenden katholischen Sauerländer im Rahmen der Hl. Messe.

Zu Ehren des Jens de Wit pilgern noch heute zahlreiche Niederländer und belgische Flamen in das von ihnen (bei verstopfter Nase) so genannte „Wi’terberg“.


Johannes Dominicus Molitor (1708-1752)

"In heiteren Seelen gibt es keinen Witz" (Novalis)

In der Zeit des 18. Jahrhunderts, als die katholische Welt mit der Hilfe des Jesuitendramas das vom Protestantismus verwirrte einfache Volk geistlich neu zu erwecken trachtete, schaffte es der Köhler von Schliprüthen, Hans Molitor, die damals noch so heitere Sauerländer Seele durch einfache Darbietungen geistlicher Schauspiele zu fesseln und für die Tiefe wahrhaft heiliger Geschichten der Heiligen Schrift zu gewinnen. Von der Natur war er nicht gesegnet, hatte doch unser braver Heiliger des Waldes eine Hasenscharte, ob der ihn jeder Hergelaufene getrost belachte. Doch in seinem Erfindungsreichtum baute er eine natürliche Höhle mit Schaufel und Hacke immer weiter aus – so ihm sein Beruf als Köhler die Zeit dazu ließ –, bis er schließlich eine kleine Bühne sein Eigen nennen konnte, die leider nur kurze Zeit als „Schliprüthener Festspielhöhle“ bekannt war.

Bei der Erstaufführung seiner Heiligenvita „Wie der Heilige Petrus in den Himmel kam“ muss er an der Stelle „Du bicht der Felch, auf den ich meine Kirche baue“ die Menge so erheitert haben, dass die nur laienhaft abgestützte Festspielhöhle über der fromm-fröhlichen Zuhörerschaft zusammenfiel und 153 Sauerländer unter sich begrub.

In der Höhle starb nicht nur unser tugendhafter Laiendarsteller mitsamt seinen Frommen, sondern ebenso die Heiterkeit in der Seele des Sauerländers. An die Stelle der offenen und lichten Fröhlichkeit trat hernach vermehrt die plattdeutsche Sprache und in ihr der typische einfache Witz, dessen Derbheit man im Lichte der sonstigen Sauerländer Frömmigkeit nur verstehen mag, wenn man um den Schmerz über die Katastrophe von 1752 weiß.


Msgr. Adam Ambrosius von Fürstenberg (1824-1916)

Der Vollständigkeit halber muss hier auch der Pfarrer von Langmecke erwähnt werden, obgleich er an die fromme Kraft der vorher Genannten nicht heranreicht. Seine Existenz verdankt er einem Seitensprung des Paderborner Oberhirten mit einer italienischen Opernsängerin (Mezzo-Sopran). 1841 noch als jüngster Domorganist geführt, soll er 1844-46 Kaplan in Brilon, Rösenbeck, Bredelar, Velmede und Hirschberg gewesen sein, bevor man ihm als Pfarrstelle die verfallene Pestkapelle in Langmecke anvertraute. Adam von Fürstenberg muss seinen 37 Schäfchen mit seinen Höllenpredigten so eingeheizt haben, dass sie nicht nur die Pestkapelle, sondern auch eine nahe Jagdhütte als Pfarrhaus herrichteten. Nach Beschaffung eines Messbuches soll er 1865 auch begonnen haben Messen zu lesen, dafür waren schon vorher seine Taufen und Beerdigungen für ihre barocken und redegewaltigen Inszenierungen berühmt. Bereits 1919 wurde ein Seligsprechungsprozess angestrengt und von Wundertaten berichtet: Anfang Mai 1880 soll er nach einem ungewöhnlich harten Winter mit einer einzigen Fluchpredigt die Schneeschmelze herbeigeführt haben; ein in der Langmecke ertrunkenes Mädchen soll er mit einem Gewehrschuss wieder zum Leben erweckt haben (allerdings war das Bächlein schon damals selbst für eine Bachforelle zu flach zum Ertrinken); schließlich soll er mit einem einzigen Schuss 153 Hirsche erlegt haben. Letzteres gehörte aber wohl zu dem wenigen Latein, dessen er mächtig war. Er gilt bis heute als umstrittener Heiliger, da sich von ihm weder die Befähigung zum Priesteramt auffinden noch seine Frömmigkeit einschätzen ließ. Nicht nur wegen seines Sterbegewichts von 250 Pfund war er ein Mann der Rekorde. An ihn denken heute wohl nur noch einige wenige Geistliche mit dem Wunsch: „Ich möchte eine Pfarrstelle im Sauerland.“


Nachwort

Nur wer mit offenen Augen durch seine Welt geht, der kann sie verstehen, damit seine eigenen Ursprünge und so auch sich selbst. Als die eigene Welt ist jedem zuerst seine Heimat gegeben, ein wahrlich kostbares Gut, dem man nur zu leicht das Ferne und Exotische vorzieht. Selbst der ansonsten so heimatverbundene Sauerländer kann oftmals nicht die Frage beantworten, woher das Rothaargebirge seinen Namen hat, wie es zum Begriff „Sauerland“ oder etwa zum Namen des nicht unbedeutenden Städtchens Brilon kam.

Dazu kommt, dass wir der Wissenschaft der Studierstube gerne den Vorzug geben vor der lebendigen Erzählung der Alten, selbst wenn der eingebildete Schreiberling nichts als die eigenen vier Wände in seinem Leben sah und seine Lehren nur aus Büchern zog. Jede knorrige Eiche am Wegesrand lehrt den erfahrungshungrigen Wanderer mehr der Lehre der ewigen Zeit, und er spürt den rauen Atem der Kelten gleichermaßen wie den starken Glaubenswillen des Sauerländers in den zahlreichen Kirchen, Kapellen, Kreuzwegen und Wegkreuzen.

Doch weit mehr noch als der brave Wandersmann erfährt derjenige die Geistes- und geistliche Geschichte des Sauerlandes, der sich aufmacht sie zu verändern. Er wird sich mit Andreas Rölleke aufmachen Frieden zu stiften, mit dem Sauerländer zu Ehren Margarethe Vollenbachs feiern, mit Vitalinus die Jakobswege des Sauerlandes durchstreifen, mit den Kirchrarbachern die heroische Glaubensstärke der Kinder verehren, mit dem „Winterberger Barden“ einen flämischen Gassenhauer mit geistlichem Text schmettern oder noch einmal Mt 18, 20 mit dem Sprachfehler des Hans Molitor rezitieren um dem ernsten Sauerländer ein Lächeln abzuringen.

So möchte dieses Bändchen den Weg weisen zu einer wahren Begegnung mit der eigenen Geistes- und Glaubensgeschichte – im stillen Kämmerlein, in trauter (Vorlese-)Runde am Kamin wie auch im Eifer der Wissenschaft, so wie sie der Volksmund schon seit Jahrhunderten pflegt.

Möge dieses Bändchen weitergegeben und weiterempfohlen werden vor allem an die Sauerländer unter uns, die fern der Heimat ein oft kärgliches Dasein fristen und sich immer wieder fragen: Wer bin ich? Woher komme ich? Und wohin gehe ich?

Schmallenberg, Am Feste der Hl. Margarethe Vollenberg 2007

Georg Maria Stippenkötter


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